Übersetzung von midian.
Ursprünglich veröffentlicht im BUST Magazine, Sommer 2003, S. 65
Ich erinnere mich daran, dass ich irgendwann um 1985 herum eine Ausgabe von Nancy Fridays „Men in Love“1 in die Hand nahm. Es beinhaltet ein ganzes Spektrum an sexuellen Männerfantasien und es war in gleichem Maße lehrreich und erregend. Im Kapitel „Women with women“ beschreibt sie die weitverbreitete Fantasie der Männer zwei Frauen zusammen zu sehen. Allerdings schreibt sie: „Sollte eine Frau die Fantasie haben, ihr Bett mit mehr als einem Mann zu teilen, dann wäre das sicher nicht ein Szenario, in dem sie zwei Männer beobachtet, die es miteinander tun.“ Ich war entsetzt! Die Fantasie zwei Männer zusammen zu beobachten war seit Jahren einer meiner Favoriten – lag ich wirklich so daneben?
Ein paar Jahre später hatte sich mein Interesse an schwulen Männern längst weit über die einfach Fantasie sie nur zu beobachten hinausbewegt – – ich wollte ihnen zuschauen, wie sie sein, ihnen nah sein, Sex mit ihnen haben, sie lieben. Für mich ging es um körperliches und emotionales und soziales Verlangen. Stellen Sie sich meine Erleichterung vor, als ich ein Buch las, in dem Carol Queen2, ohne Entschuldigung, schrieb, dass „ein Mann mich erst wirklich anfing zu interessieren, nachdem er einen Schwanz in seinem Mund gehabt hatte.“ Oh, wow, das Gleiche gilt auch für mich, dachte ich. Und wenn es zwei von uns gibt, dann muss es noch mehr geben. Als ich begriffen hatte, dass es andere Frauen gab, die sich stark und heftig von schwulen Männer und der schwulen Männerkultur angezogen fühlten, fasste ich den Entschluss sie zu finden.
Im September 2000 erstellte ich eine E-Mail-Liste und startet www.girlfags.com, eine Seite, um Informationen zu diesem Thema zu koordinieren. Die Liste wuchs sagenhaft und hatte bald mehr als 1000 Mitglieder. Es half mir, sehr viel über meine Girlfag-Genossinnen herauszufinden und über die Dinge, die wir gemeinsam hatten. Für die Internetseite und die E-Mail-Liste formulierte ich eine Definition: Eine girlfag ist eine Frau, die sich sehr von schwulen/bisexuellen Männern angezogen fühlt. Sie kann sich (oder auch nicht) so fühlen, als ob sie (ganz oder teilweise) ein „schwuler Mann im Körper einer Frau“ ist. Girlfags können sich hauptsächlich als bi oder hetero oder lesbisch identifizieren, und fühlen sich oft zu mehr Menschentypen als nur zu schwulen/bisexuellen Männern hingezogen. Mit der Zeit fing ich an “GirlFag” eine „Geschmacksrichtung der Orientierung“ zu nennen, da es sich um eine Vorliebe handelt, die zusätzlich zu der eigenen sexuellen Orientierung existiert.
Durch die E-Mail-Liste erfuhr ich, dass mir viele Girlfags zustimmten, dass unser Interesse an schwulen und bisexuellen Männern weit über die reine sexuelle Ebene hinausgeht. Wir wollten auch Beziehungen der schwulen Art mit ihnen. Wir wollten Beziehungen mit einer grundlegenden Gleichstellung (freie Wahl der Rollen) und einem queeren Stil, den homosexuelle Männer haben. Es war befreiend (und heiß) zu erkennen, dass eine Frau (Girlfag) und ein Mann (meistens schwul) sehr viel Spaß miteinander haben können.
Manche Girlfags finden zwanglose Zuneigungsbekenntnisse zwischen Männern, wie etwa Küsse oder zärtliche Berührungen, erregend. Andere wiederum mögen scharfen, heißen schwulen Sex. Manche Girlfags wollen nur Bilder oder schwule Pornos sehen, andere wollen selbst mitmachen. Manche Girlfags wollen über schwule Männer fantasieren, andere wollen eine monogame Beziehung mit einem schwul-spielenden bisexuellen Mann, und wieder andere wollen offene Beziehungen mit einer Vielzahl von Partnern. Wir GirlGags sind sehr verschieden in unseren Begehren und in unserenWegen sie zu befriedigen.
Ein übliche Möglichkeit, die wir Girlfags ergreifen um unsere Girlfag (und andere) Begehren auf der sexuellen und auf der Beziehungsebene zu befriedigen, ist Polyamorie3. Polyamorie ist eine Bezeichnung für “ehrliche Nicht-Monogamie”. Eine Girlfag fragte mich, wie ich erwarten kann, dass ein schwuler Mann sein eigentliches Interesse – schwule Männer – aufgibt, um mit mir zusammen zu sein. Als eine polyamore Girlfag antwortete ich ihr, dass ich ihn nicht bitten muss dies zu tun! Im Gegenteil, ich ermuntere ihn dazu, andere Männer zu suchen. Ob er diese anderen Männer mit mir teilt oder nicht, ich begrüße sein Schwulsein und das Glück, dass ihm diese anderen Männer geben. Und ich genieße die Freiheit die ich habe ebenfalls nach anderen Männer zu suchen (dies schließt gelegentlich einen sehr besonderen, heterosexuellen Mann ein!), oder nach anderen Frauen (besonders mag ich andere Girlfags). Wenngleich auch nicht alle Girlfags polyamor sind, so scheint dies doch die vorherrschende Art der Beziehung unter uns zu sein.
Es ist ein großes Glück für uns Girlfags, dass viele bisexuelle Männer begeistert sind uns zu finden. Manche bisexuelle Männer fragen sich, wie sie wohl jemals eine Frau finden können, die ihre „schwule Seite“ versteht. Wenn sie herausfinden, dass es eine Gruppe von Frauen gibt, die diese Seite nicht nur versteht, sondern auch unterstützt, ist dies eine wundervolle Offenbarung für sie. Einige Girlfags (und ihre „besorgten“ Freunde) machen sich Sorgen darüber, dass Girlfags nur das wollen, was sie nicht haben können. Aber ich kann nicht genug betonen, dass dies glücklicherweise nicht der Fall ist, und dass die ganze Zeit immer mehr Girlfags und schwule/bisexuelle Männer zueinander finden! In der Mannigfaltigkeit der sexuellen Orientierungen, der Geschmäcker, der Beziehungsformen, und der Vorlieben, ist sogar für Girlfags ein Platz!
1 Men in Love, Men’s Sexual Fantasies: The Triumph of Love Over Rage, Dell Publishing, 1980 Die sexuellen Phantasien der Männer, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994
2 Carol Queen, amerikanische Autorin, Herausgeberin und Sexualwissenschaftlerin
3 poly (gr) = viele, amor (lat) = Liebe