Was ist ein/e Guydyke? (Stine)

Ursprünglich veröffentlicht in der Queerulant_in (Jahrgang 2, Ausgabe 3 (6) – Dez 2013/Jan 2014).


Antwort: Eine Lesbe mit einem männlichen oder männlich konnotierten Körper.Es könnte alles so einfach sein. Könnte. Auch wenn dieser Satz wohl absolut der Wahrheit entsprechen mag, sollte es doch ein paar tiefere Definitionen geben und vor allem auch Abgrenzungen. Beginnen wir zu Anfangs einmal mit dem, was alle Guydykes verbindet. Denn innerhalb der Guydykes ist vieles ungleich und es gibt viele Strömungen und Meinungen,nicht einmal das geschlechtsanzeigende Pronomen ist eindeutig festgelegt. Ist es nun der oder die Guydyke?

Persönliche Ansichten von Stine. Transidente Guydyke, Pangynophil. Baujahr 1980.

Also, was verbindet die Guydykes miteinander?

Jede Guydyke identifiziert sich mit einem Teil oder mit der ganzen queeren Szene. Das trifft sowohl auf unsere Verwandten zu, die Girlfags, wie auf Trans*Menschen, Bisexuelle, Lesben und Schwule. Es gibt bei jeder von uns Bezüge zu der einen oder der anderen Gruppe, jedoch besonders zu Bisexuellen und Lesben. Jeder Guydyke kam schon einmal irgendwie mit heterosexuellen Frauen in Kontakt. Die Allermeisten von uns fühlten sich, ob der Erwartungshaltung der Heteras, ziemlich überfordert oder wussten einfach mit ihrem Flirtverhalten nichts anzufangen. D. h. jeder Guydyke ist genderqueer, aber nicht jede genderqueere Mensch mit gelesenen männlichem Körper ist ein Guydyke.
Da jede Guydyke also genderqueer ist, ist die Erwartungshaltung, die an Guydykes herangetragen wird, die der vermeintlichen Geschlechtsgenossen. Diese fühlen sich oft ein bisschen irritiert ob des atypischen Verhaltens. Es kommt bei manchen gelegentlich die Frage auf, ob man schwul sei. Andere schätzen einen einfach nur als „anders – undefiniert“ ein, denn sie können das Anderssein nicht einordnen. Manch einer Guydyke merkt man auch nur an ihren Äußerungen an, dass sie anders tickt. Beispielhaft wäre hier der Satz: „Wie, du bist doch selbst ein Mann, wie kannst du so feministische Äußerungen vertreten!?“ Jede Guydyke macht hier ganz unterschiedliche Erfahrungen: die einen machen negative Erfahrungen und leiden unter der Heteronormativität der Gesellschaft. Wo die Heteronormativität aber bereits aufgebrochen ist, lassen sich auch ganz andere, positive Erfahrungen machen. Jeder Guydyke lebt in einem männlichen konnotierten Körper. Die Eine mag dies als Glück empfinden, der Andere als großes Unglück. Manche sehen es als Unglück, weil sie transident sind. Andere sehen es nur als Unglück an, weil sie so mehr Schwierigkeiten haben sich unter Ihresgleichen zu mischen. Denn salopp gesagt hat es ein Mensch mit männlich gelesenen Körper aus offensichtlichen Gründen schwer unter Lesben.

Was passiert, wenn eine Guydyke auf eine Hetero‐Frau trifft?

Nun, vieles ist möglich. Was hingegen eher unwahrscheinlich ist, dass es zu einer Paarbildung kommt. Jedem queeren Menschen dürften die Unterschiede zwischen sich selbst und den heterosexuellen Menschen klar sein. So scheint doch vielen von uns das Flirtverhalten der Heten als ziemlich mechanisch oder gar roboterhaft. Während unser Roby Roboter sich auf die Suche nach seiner Märchen-Getränkedosenautomatin begibt, wird der weibliche Roboter‐Pendant sich wohl nie direkt auf die Suche nach einem männlichen Roboter‐Wesen begeben. Sie will ja gefunden werden. Denn sowohl Roby Roboter als auch „seine“ Roboterfrau haben hier viele angelernte Verhaltensweisen, Gesten und Gesprächsschemata die queeren Menschen wohl eher fremd oder wenigstens „gut durchgemischt“ sind.

Unter uns Queeren ist dies eher eine individuelle Frage, als eine Frage des zugewiesenen Geschlechts. Kommt es jedoch wider Erwarten zu einem genaueren Beschnuppern, werden zwischen Guydykes und Hetero‐Frauen oft die Signale falsch gedeutet. Es ist, als ob sie eine unterschiedliche Sprache sprechen würden, was ja durchaus nahe liegend ist. Es ist bei manchen Guydykes der Fall, dass sie von Heteras als Gesprächspartner sehr geschätzt werden. Ist es doch so, dass einem Guydyke die „weibliche Sicht“ auf die Dinge selten verschlossen ist. Das drückt sich in bestimmten Meinungen aus, in der weniger dominanten Art zu kommunizieren, und ganz klischeehaft kennen Guydykes den Unterschied zwischen „Ziegelrot“ und „Scharlachrot“ viel eher, als die gemeinhin als „echte Männer“ bezeichneten Wesen. Inwiefern gerade letzteres nur auf die Guydykes zutrifft, die sich an der Grenze zur Transidentität befinden oder die sich komplett als transident bezeichnen, ist mir persönlich nicht bekannt. Jene Sensibilität ist es, die häufig unter Heteras und Frauen allgemein geschätzt wird. Man hört dann schnell mal Dinge wie: „Du bist so anders/differenzierter, als die anderen Männer!“. Dies drückt den Wunsch vieler Frauen nach Harmonie aus, den Guydykes absolut teilen. Wer jetzt mit recht anmerken will, dass dies ein Klischee ist, dem sei einmal ein weiteres Klischee, nämlich das zweier Schwuler in der Kennenlern‐ und Flirtphase ans Herz gelegt. Hinzu kommt, dass es eine nicht allzu kleine Anzahl von Guydykes gibt, denen man ihre Queerness ansieht. Wie sich dies ausdrückt, ist jedoch sehr unterschiedlich. Zum einen gibt es die androgynen Guydykes. Sie legen Wert darauf in Kleidung und/oder Wesen, nicht allzu männlich zu erscheinen und fühlen sich natürlich auch nicht so. In extremer Form kann es hier eine Überschneidung mit transidenten Personen geben. Man könnte hier sogar von TransDykes reden, wenn man denn möchte. Die meisten Guydyke sind jedoch nicht transident, teilen allenfalls die ein oder andere Eigenschaft mit transidenten Personen. Aber ob nun TransDyke ohne Transistionswunsch oder ohne, jede von uns wird ihre Strategie entwickelt haben, wie sie sich mit dem vermeintlich anderen Geschlecht arrangieren kann. Nur in den seltensten Fällen sind dies Heterofrauen und wenn, dann sicherlich keine heteronormativen. „Heißt es eigentlich nun der Butch oder die Butch?“, „Wie viele Butches sind eigentlich Trans‐männer?“ Solche Fragen tauchen doch hin und wieder einmal auf. Genau so gibt es unter uns Guydykes auch die oberflächlich betrachtet eher männlicheren. So gibt es Guydykes in der Vielzahl und Individualität wie es auch Lesben oder beinahe‐Lesben gibt. Queertheoretisch könnte sich jede Guydyke, genau wie jede Femme oder Butch als Transident bezeichnen. Praktisch kommt dies jedoch seltener vor. Nun heißt es aber durchaus man könne Femmes oder Butches als transidente Personen bezeichnen. Auch wenn die Transition von FemaleToButch oder FemaleToFemme durchaus vorkommt, so gibt es auch ButchToMale transidente Menschen die sich nach ihrer Transition als Guydykes bezeichnen, denn auch in einem männlich konnotierten Körper muss man die lesbische Sozialisation nicht ablegen. Dann gibt es Guydykes, die auf den ersten Blick männlich aussehen und doch trans sind. Es gibt sehr androgyne Guydykes, die überhaupt nichts mit trans am Hut haben. Alles ist möglich. Auch muss ein oder eine Guydyke nicht zwingend nur auf Frauen stehen. Manche könnte man als pangynophil bezeichnen, manche haben bisexuelle Züge. Manche lehnen den Begriff Guydyke ab, manche mögen ihn.

Guydykes und Sexualität…

Man kann sich sicherlich vorstellen, dass Guydykes, wenn sie sich denn nicht als asexuell oder desinteressiert bezeichnen, die männlichen Sexualpraktiken eher ablehnen. Es sei hier das Stichwort Penetration eingeworfen, welches wohl weniger zu den bevorzugten Spielvarianten unter Guydykes zählt. Die primären männlichen Geschlechtsmerkmale werden einigen eher fremd sein, ob sie nun ihren Körper ablehnen oder eben auch nicht, so werden sie von den meisten Guydykes wohl kaum auf allgemein bekannte Art und Weise benutzt. Auch die Überzeugung Sex trotz des männlichen Körpers als Frau zu erleben ist stark verbreitet. Dies ist insbesondere so, weil die gängige heteromännliche Sexualpraktik abgelehnt wird. Des weiteren hört man häufig den Satz, dass Sex und Zärtlichkeit untrennbar seien und die Harmonie dabei viel wichtiger sei, als der eigentliche Akt. Auch scheint es unter vielen eine größere Vorliebe für Oralverkehrzu geben. Spielvarianten gibt es sicherlich viele, jedoch treffen die klischeehaft männlichen auf Guydykes kaum zu.
Es kann mit unter vorkommen, dass Guydykes mit‐einander Sex haben oder sich ineinander verlieben. Dies wird offenbar von den wenigsten Guydykes von vornherein ausgeschlossen, denn viele Guydykes sehen mehr das innere Geschlecht eines Menschen als das äußere. In diesem Sinne ist es dann ja eine Lesbe, die mit einer Lesbe Sex hat. Man ist somit sexuell kompatibel, auch wenn man nicht auf Männer, sondern auf Frauen steht.In gewisser Hinsicht hätte man damit wohl einen passenden Partner, wenn man über das rein Körperliche hinausgehen kann. Ein solches Verhalten wird für meine Begriffe auch mit dem bereits erwähnten Begriff Pangynophilie abgedeckt. Man kann also alles attraktiv finden, was irgendwie weiblich, weiblich definiert und/oder weiblich aussehend ist, im Entferntesten kann dies sogar auf androgyne Männer zutreffen, die eben einen deutlichen, weiblichen Einfall haben. Allerdings muss nicht jede Guydyke pangynophil sein. Guydykes die sich unter Heten als solche zu outen versuchen, müssen jedoch eines immer wieder verdeutlichen: Dass Guydykes ein nichts mit Lesbenpornos‐gucken zu tun hat.

Wie definiere ich mich?

Ich persönlich gehöre zu der Trans‐Fraktion unter den Guydykes. Zu aller erst definiere ich mich al‐so als Frau, obwohl ich einen männlichen Körper habe, keine Hormone nehme und nicht klischeehaft in Frauenkleidung herumlaufe. Ich trage sehr wohl Kleidung die für die weibliche Klientel hergestellt worden ist, aber allenfalls wirke ich wie eine invertierte Version eines „Tomboy“ aber ganz sicher nicht transident. Als nächstes definiere ich mich als Guydyke, denn das beschreibt mich durchaus sehr gut, auch wenn ich meine Probleme damit habe dass Wort Guy auf mich zu beziehen. Auch habe ich meine Probleme mich Dyke zu nennen, denn ich möchte keiner Lesbe (Dyke) auf den Schlips treten denn das Letzte, zu dem ich gezählt werden möchte, sind jene Heteromänner (Guys), die sich aus Spaß als lesbisch bezeichnen. Außerdem war ich schon in einen Mann verliebt und bin deshalb defakto nicht ganz lesbisch. Ich bin pangynophil im weitesten Sinne und habe bisexuelle Züge. Prinzipiell übt alles queere eine hohe Attraktivität auf mich aus. Das können Schwule sein, auch die „Süßen“ unter den Männern – also eher weichere und kleinere. Transmänner in allen möglichen Phasen der Transition zählen ebenso dazu.

Zum Thema Beziehungen…

Ich war noch nie mit einer Hete zusammen. Warum verstand ich lange Jahre nicht. Ich hatte auch bis zum 18 Lebensjahr keinerlei Interesse an Frauen. Ich dachte zeitweilig schon ich wäre schwul, aber Interesse an Männern schien ich auch nicht zu haben. So waren meine Beziehungsanfänge auch eher holprig. Denn wenn Heteronormativität uns allen überall vorgelebt wird, wie kann man dann herausfinden, dass man selbst anders ist? Jedenfalls änderte sich mein romantisches Interesse an anderen Menschen schlagartig mit der 1. irgendwie queeren Person in meinem Leben.Diese Person lernte ich gegen Ende des 18. Lebensjahres kennen. Warum es klappte, wusste ich gar nicht so genau. Sie bezeichnete sich als bisexuell, auch wenn sie betonte männliche Körper nicht als schön zu empfinden. Wir waren beide absolut beziehungsunerfahren, so wurde ich von dieser Person bald in die klischeehaft männliche Rolle gedrängt, unter der ich schnell sehr litt.Auch daran scheiterte die Beziehung letzten Endes.Die zweite Freundin war genderqueer, auch wenn sie diesen Begriff nicht kannte. Beim kennenlernen war sie in der klischeehaft männlichen Rolle,was ich sehr genoss. Hier fühlte ich mich endlich mal „wie ich selbst“, auch wenn ich das damals noch nicht richtig zuordnen konnte. Wir glauben heute beide dass der Begriff Girlfag durchaus auf sie zutreffen könnte, jedoch lehnt sie alle Begrifflichkeiten aus Prinzip ab, bezeichnet sich jedoch als geschlechtsneutral.

Es folgte ein Flirt mit einer Femme. Sie war auf der Suche nach einer Frau und verstand nicht, warum sie so auf mich reagierte. Gleichzeitig bestärkte sie mich in meiner Weiblichkeit. Ich hatte bis dato noch nie wirklich geflirtet, denn ich konnte es nicht. Diesmal war es anders. Ich wusste wie es ging und ganz intuitiv fühlte ich, was das Richtige war. Nach jahrelanger Unsicherheit wusste ich nun instinktiv was das richtige war: Ich konnte rezeptiv sein und auch so flirten. Wir waren es sogar beide und es war kompatibel. Im Gegensatz zu meinen bisherigen Beziehungen war diese nun wirklich anders: Nach tagelangen, wiederkehrenden Treffen und einem intensiven Beschnuppern entwickelte sich nach etwa zwei Wochen ein Flirt. Dieser dauerte viele Stunden und endete am Ende des Abends mit einer vorsichtigen und zaghaften Berührung an unseren Händen. Von da an wurde mein Leben schlagartig bunter und queerer.

Probleme mit den Männlichkeiten…

Zeit meines Lebens hatte ich Probleme mit ihnen. Besonders beispielhaft dafür ist eine Situation:In einer Gruppe junger Männer kam die neue Beziehung von einem der Männer ins Gespräch. Auf die Frage wie es zu dieser Beziehung kam erklärte er:„Ich hätte auch jede andere genommen, aber sie war die einzige die Interesse hatte. Hauptsache Sex!“
Ich erwiderte scherzhaft: „Du bist viel zu leicht zuhaben“. Alle Anwesenden verstanden: „Deine Freundin ist ganz schön leicht zu haben!“. Dieses Missverständnis ist der Grund, warum ich später viel Ärger bekam. Solche Missverständnisse gab es mein Leben lang: in der Schule, im Sportverein,auf der Arbeit, …. Bevor ich Meinesgleichen traf wurde ich unter Heten immer stiller. Man nahm mich als verbissen oder bestenfalls stark introvertiert wahr. Ich habe sie teilweise gehasst, die Heten. Heute empfinde ich manchmal Wut und manchmal Mitleid wenn ich mit ihnen zu tun habe. Die Heten werden es im großen und ganzen nie schaffen, der Beschränkung des eigenen Rollenverhaltens zu entkommen. Es mag zwar den ein oder anderen Lichtblick unter ihnen geben,aber aus Selbstschutz habe ich gelernt, mit den Heten umzugehen. Natürlich sind auch nicht alle Heten schlecht. Auch wenn ich das manchmal glauben möchte, doch ich habe auch Freunde unter ihnen…

Meine Interessen

Natürlich habe ich derer viele! Aber im Kontext des Artikels sei vor allem die Matriarchatsforschung genannt. Andere Gesellschaftsformen faszinieren mich sehr, besonders dann, wenn sie friedliebend und nicht hierarchisch strukturiert sind. Die Suche nach einem friedlichen und vorurteilslosem Miteinander treibt mich hier wohl an. Zeit meines Lebens eckte ich oft an Herrschaftsstrukturen an. Ich hielt Hierarchien schon immer für unangebracht und verweigerte mich ihnen, weshalb ich auch einige Zeiteinen Irokesenschnitt trug. Leider wird das Ablehnen von Herrschaftsstrukturen oftmals mit Gewalt beantwortet, weshalb ich insbesondere in der Schulzeit viel körperliche und seelische Gewalt erfuhr. Man könnte sagen, ich suche die Dinge, die ich selbst so selten bekommen habe, nämlich die eben schon erwähnte offenere, friedlichere und freiere Gesellschaft. In diesem Kontext würde ich mich durchaus als Feministin bezeichnen. So gibt es eine große Nähe zu den RiotGrrls bzw. dem, was davon übriggeblieben ist. Ich würde mich fast selbst als eines bezeichnen,aber das scheitert an dem allmorgendlichen Blick in den Spiegel. Wenn ich vor dem Spiegel stehe, dann gibt es Momente wo ich mich frage warum mich das alles gerade treffen muss. Ich, feministisch, männerkritisch, lesbisch und eine Frau? Dann hasse ich mein eigenes Spiegelbild. Es gibt aber auch Tage an denen ich den männlichen Anblick meines Körpers ertragen kann. Das sind eigentlich die meisten. Dann sehe ich keine Unvereinbarkeiten mehr. Diese Unvereinbarkeiten nehmen stark ab seit ich Stück für Stück immer mehr queere Kontakte finde. Bisexuelle, Transmänner, Girlfags, andere Guydykes. Ich las einmal im Internet die Aussage: „Femme: Radikal, feministisch, weiblich!“ Ja. Das meint mich! Ich sehe da heute auch keine Unvereinbarkeiten mehr.