Ursprünglich veröffentlicht auf fanfiktion.de, von Mimi (NorthernLight)
Kurzbeschreibung: „Wenn ich ein Mann wäre, wäre ich schwul.“ – das ist eine Sache. Die andere ist: „Ich bin eine Frau und ich bin schwul.“
Girlfags lautet der Begriff für etwas, das uns unlogisch erscheint, aber sich dennoch nicht wegerklären lässt.
Eine Art Einleitung: Slash
Slash lesen viele. Ich habe andere Leserinnen nach Erklärungen gefragt:
Heteropärchen seien einfach langweilig, die Lovestorys abgenutzt und vorhersehbar, sagen die einen. Klischees seien im Slash nicht so häufig vertreten; zudem sei es in der Regel nicht alltäglich. blacksilverelfe führte als Grund den „Reiz des Verbotenen“ an. Als „faszinierend“ beschrieb Dragon04610 „Konflikte und Reaktionen der Hauptcharaktere sowie deren Umwelt“. Andere Erklärungen bezogen sich dabei hauptsächlich auf sexuelle Darstellungen: Wie Männer im Allgemeinen gerne zwei Frauen miteinander sähen, fänden heterosexuelle Frauen es erregend, wenn gleich zwei Exemplare des anderen Geschlechts miteinander agierten (um es mal jugendfrei auszudrücken). An dieser Stelle möchte ich auch Abby zitieren, die auf die Frage „Warum Slash?“ schrieb: „[…], weil man sich dann natürlich vorstellt, man wär da zwischendrin“. Sehen es so die meisten Frauen? Nicht alle – dazu gleich. Zum Grinsen brachte mich Judys Erklärung, bei Slash könne keine Mary-Sue entstehen und so bräuchte man nicht auf eine der Hauptpersonen eifersüchtig zu sein.
Selbstverständlich gibt es sowohl jene, die primär an den „Intimszenen“ interessiert sind, als auch solche, die, wie Dragon04710, solche Texte mittlerweile bloß noch überlesen („[…] ist meist eh dasselbe und manchmal anatomisch ein wenig fragwürdig“). Dass es also immer nur um den erotischen Aspekt geht, ist schon mal Quatsch.
Worum’s eigentlich geht
“Der Mann in ihrem Traum stöhnte und stieß ungehalten ein weiteres Mal zu. Sie bäumte sich unter ihm auf und ließ ihre Hand über seinen Brustkorb hinab gleiten, strich über den Ansatz eines Waschbrettbauches und griff nach ihrem Schw”
Moment, falscher Film. Oder? Nein, eigentlich nicht. Die Fantasie einer Frau. Ist das nun normal? Würden sich die meisten Frauen nicht eher zwischen oder neben die beiden Männer träumen, als sich vorzustellen, einer von ihnen zu sein? Schwule Frauen nicht.
„Schwul?!“ höre ich die Leser dieses Artikels ausrufen, einige entsetzt, andere nur ungläubig. „Schwule Frauen sind hetero“, sagt der Klugscheißer aus Hannover, und das Mädchen mit den braunen Wuschellocken aus Mannheim schüttelt verwirrt den Kopf. Hetero – schwul – ein Unterschied, nicht nur bei Männern. „Schwuuu-huu-le Mädchen“, grölen die Typen aus der Nähe von Stuttgart. Ja, das Lied ist bekannt (1). Aber dass es sie tatsächlich gibt, die schwulen Mädchen und Frauen? Was, bitte, ist das überhaupt?!
Nun, ziehen wir ein Beispiel heran. Mimi, weiblich, zwanzig Jahre, hatte so ihre Zweifel an ihrer Heterosexualität. Die Mitschülerinnen lobten Sex in den Himmel. War es normal für Mädchen, sich Sex mit Männern vorzustellen? Bis zu ihrer ersten sexuellen Erfahrung hatte Mimi das nie getan – keine Lust, keine Ahnung. Und danach? „Auch nicht viel. Es hatten einfach keinen besonderen Reiz.“ Doch, dass sie sich eher zu Männern statt zu Frauen hingezogen fühlte, stand eigentlich außer Frage.
Und der tatsächliche Geschlechtsverkehr war „ganz okay“. Lag es an ihr oder an ihm? Richtig erwachte ihr Interesse an Sex erst bei einer Folge des amerikanischen „Queer as Folk“, irgendwann spät nachts im Fernsehen. Später kamen mehr Filme und irgendwann Geschichten. Heute macht sie keinen Hehl mehr daraus, was sie interessiert. Die britische „Queer as Folk“-Staffel steht neben dem „Phantom der Oper“ offen im Regal, homoerotische Bücher liegen frei herum, wo immer sie sie liegen lässt. (2)
Vor ein paar Monaten dann ist sie im Internet über einen Begriff gestolpert, der ihr seitdem keine Ruhe mehr gelassen hat. „Girlfag“ ließ der Titel verlauten, und die kurze Definition war interessant, doch alles andere als hilfreich:
Girlfag (auch female gay man) ist eine Bezeichnung für Frauen, die sich besonders zu schwulen/bisexuellen Männern hingezogen fühlen und/oder sich selbst als schwul definieren. Einige, aber nicht alle, von ihnen bezeichnen sich selbst als genderqueer oder fühlen sich (ganz oder teilweise) als „schwuler Mann im Körper einer Frau“. Girlfags können sowohl bisexuell oder heterosexuell sein. (3)
Die Definition ist so ein Problem: Sie versucht, eine neue Schublade zu konstruieren. Heteronormativität, das kennen viele – das alte Rollenmodell in unseren Köpfen: Wer weiblich aussieht, fühlt sich auch so und fühlt sich zu Männern hingezogen; wer nur männliche Geschlechtsmerkmale hat, fühlt sich wie ein Mann und möchte nur mit Frauen schlafen. Homonormativität – das ist neu, das Schubladendenken unseres Zeitalters. Hetero ist „normal“, homo wird akzeptiert, bi ist schon wieder so eine Sache, denn Bisexuelle werden oft als „unentschieden“ abgestempelt. Und dann sollen Frauen schwul sein können – und Männer lesbisch? Okay, auch dafür wird eine Definition geschrieben. Wir Menschen brauchen unsere Sprache, wir brauchen Ausdrücke für das, was wir empfinden, und wenn es einen Begriff gibt für das, was wir sind, fühlen wir uns gleich weniger allein. Es bedeutet: Da gibt es noch mehr, die so sind wie ich! Egal, wie sehr wir gegen die Stempelaufdrückerei wettern, tut es uns doch gut.
Nun trifft die Definition „schwuler Mann im Körper einer Frau“ längst nicht auf jede Girlfag zu. Klar gibt es da so einige, die so empfinden. Doch genauso gibt es Frauen, die sich weiblich fühlen und noch nie ein Mann sein wollten. Und es gibt jene, die sich nicht als Mann fühlen, aber gerne einer wären, und sei es nur, um die eigene Sexualität wenigstens ausleben zu können. Dazwischen gibt es auch noch Grauzonen.
Und wer steht schon nur auf homo- oder bisexuelle Männer? Ja, klar gibt es welche, die wortwörtlich mit einem Schild bzw. einer Flagge auf dem Rücken herumlaufen, aber die sexuelle Orientierung steht den meisten nicht auf die Stirn tätowiert. Die Homosexualität eines Mannes steigert das Interesse einer Girlfag und ruft es besonders wach, das heißt jedoch nicht, dass GirlFags nicht auf heterosexuelle Männer stehen können.
Aber wo liegt denn jetzt der Unterschied zwischen heterosexuellen Frauen, die schwulen Sex erotisch finden und Girlfags?
Als Girlfag hat Mimi sich noch nicht so richtig geoutet, doch wo sie es tut, taucht diese Frage immer wieder auf. Sie zuckt ratlos mit den Schultern und fragt: „Wie fühlen denn heterosexuelle Frauen?“ Eine Antwort hat niemand darauf, daher ist es schwer, zu vergleichen.
„Wenn ich ein Mann wäre, wäre ich schwul“ – das sagen viele Frauen, und „ich wäre gern schwul“ geht da schon einen Schritt weiter, zeugt aber meist eher von Frustration mit dem anderen Geschlecht oder der oben erwähnten Romantisierung schwuler Beziehungen.
Wie kann eine Frau dann beurteilen, dass sie anders fühlt als ihre „normal heterosexuellen“ Geschlechtsgenossinnen? Und wenn sie nicht weiß, wie Letztere fühlen, spricht das für sich genommen nicht schon Bände? Gefühle sind schwer zu erklären, am Ende bleibt nichts als die eigene Einschätzung. Nach anfänglichen Versuchen, die Erkenntnis zu ignorieren, dass sie etwas sein könnte, das gar nicht sein kann, eben eine Frau, die sich eine schwule Beziehung mit einem Mann wünscht, und der bekannten „Vielleicht ist es nur eine Phase“-Phase, bemüht Mimi sich jetzt, zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen. Etwas anderes bliebe ihr auch gar nicht übrig, meint sie. Und Zweifel – die kommen immer wieder auf. Schließlich geht eine schwule Frau gegen alle Logik. Doch sie ist ja da, sie und erstaunlich viele andere, die in irgendwelchen Grauzonen zwischen den Schubladen stecken.
Wichtig ist im Augenblick die Verbreitung des Begriffs. Aufklärung der Gesellschaft, dass es zwischen Hetero-, Homo-, Bi- und Asexuellen nicht nur Transsexuelle– jene, die sich deutlich einem Geschlecht zugehörig fühlen, doch körperlich eindeutig dem anderen angehören – gibt, sondern auch vieles dazwischen. Lesbische Frauen, die einmal Männer waren. Schwule und lesbische Männer. Frauen, die auf Männer stehen, aber eben nicht so, sondern anders, schwul eben. Männer und Frauen, die sich gefühlsmäßig eher irgendwo zwischen den Geschlechtern befinden, von ihrer sexuellen Ausrichtung einmal ganz abgesehen (was übrigens angeblich auf viele Girlfags zutrifft). Die Grauzone ist unerwartet groß und vielseitig. Schubladen bringen uns hier nicht mehr weiter.
Nichtsdestoweniger ist es notwendig, Begriffe zu schaffen. Und für die Grauzone brauchen wir eben viele – wie es scheint, kommen wir aus dem Stempeln nicht heraus. Doch es gibt Schlimmeres – Mimi und viele Andere jedenfalls sind froh, dass es sie gibt und geben darf(!).
Wäre da nur noch das Problem mit dem Outing: Wer nimmt uns schon ernst? „Mama, ich bin schwul.“ – „Ja ja, Christina. Hilf mir bitte, den Tisch abzuräumen!“ [Name willkürlich gewählt] Tja. Meine Familie weiß, dass ich über schwule Jungs schreibe (und lese). Aber was das für mich bedeutet? Ich versuche, offen damit umzugehen, denn ich bin sicher, das ist die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas gegen Schubladendenken auszurichten.
Für mehr und größere Schubladen! Ich bin Mimi, ich bin eine Frau und ich bin schwul. E-Mails und Reviews herzlich willkommen, keine falsche Zurückhaltung bei Fragen – ich freue mich auf Diskussionen!
Quellen:
(1) „Schwule Mädchen“ von Fettes Brot
(2) „Queer as Folk“ aus England bestand aus acht Episoden und einem Spielfilm („QaF
2“). Es bildete die Vorlage für die amerikanische Serie, tatsächlich
sind einige Szenen der ersten Folge(n) fast direkt übernommen worden.
„Das Phantom der Oper“ ist ein Andrew-Lloyd-Webber-Musical und wurde vor wenigen Jahren erneut verfilmt.
(3) http://www.homowiki.de/Girlfag
Ohne Erwähnung im Text:
DER Artikel zum Thema (PDF-Dokument): „Almost Homosexual: Schwule Frauen/Schwule Transgender (GirlFags/Trans*Fags)“ http://www.liminalis.de/artikel/Liminalis2007_meyer.pdf Deutscher Text, einige englische Zitate, auf jeden Fall gut lesbar!
(…)
Der Begriff:
„Fag“
ist eins der vielen Schimpfwörter in der englischen Sprache, die
Homosexualität verunglimpfen. Soll heißen, es bedeutet soviel wie
„Schwuchtel“. Im Englischen gibt es kein Wort, das unserem „schwul“
direkt entspricht – „gay“
kann (neben der ursprünglichen Bedeutung „fröhlich“) sowohl einen Mann
als schwul als auch eine Frau als lesbisch beschreiben. Wer sich als
Frau also hinstellt und sagt: „I’m gay“, den wird niemand so schräg angucken, wie wenn eine Frau hierzulande sagt: „Ich bin schwul.“ Daher der Ausdruck „GirlFag“ – es ist eindeutig. Mehr dazu im oben verlinkten Artikel.
Nachwort:
Unter Umständen werde ich hier noch ein zweites Kapitel anfügen, in dem ich versuche, Fragen zu beantworten, die mir gestellt wurden bzw. von Lesern noch gestellt werden.
Neben den in der Einleitung Erwähnten bedanke ich mich für die Beantwortung meiner Umfrage bei:
Dark Angel From Hell, Markusmicky18, Drachentochter, Salazar, Pat Black und Slayers