Ich bin mit Ili (GF/GD-Aktivistin und Betreiberin der ersten deutschsprachigen Girlfags-Website) seit mehreren Jahren befreundet und ich glaube, dass wir uns gegenseitig viel unterstützen konnten, gerade im Hinblick auf unsere Vorliebe für schwule Männer und den Umgang mit diesem Thema in der Öffentlichkeit. Und gerade zu Anfang 2008 waren wir beide einem Wandel unterlaufen: wir sind Girlsfags!
Eine Email von Ili, im Anhang befand sich ein Artikel in meinem Mail-Postfach… ahh, es geht um Homosexualität, „unser Thema“. Klingt gut, dachte ich mir und druckte ihn aus. Zu diesemn Zeitpunkt wusste ich nicht, dass dieser Artikel mein gesamtes Bild von mir in wenigen Minuten verändern würde. Ich las und las und las… und war verwirrt wie nie zuvor. Ich war gerade mitten in einer Selbstfindungskrise und das einzige, was ich nicht angezweifelt hatte, war meine Sexualität… Und nun? Nun stand ich Kopf und mit mir alle meine Gefühle und Gedanken. Ich wusste nicht wohin mit mir, war total nervös, lief permanent umher.
„Kann das sein?“ fragte ich mich. Ich nahm immer und immer wieder den Artikel und las:
„A straight man can look good to me but… when I know a man is gay, when he’s picked up some of the gay male culture tricks and mannerism, I don’t know, it just turns me on… I think what turns me on is the idea of two man having an emotional relationship. […] I’ve fantasized being a beautiful boy in a loving relationship with a man. (quoted in Decarnin1981:10,11, quoted in Bagermihl 1999: 387)”
Quelle: Uli Meyer: „Almost Homosexual“ – Schwule Frauen und Schwule Transgender. Liminalis 1/2007
Das war ich. Das hätte ich gesagt haben können. Ich habe mich in diesem Artikel wiedererkannt und dachte: Das, was ich empfinde, hat einen Namen. Ich bin ein schwules Mädchen oder eine schwule Frau oder eben eine Girlfag. Das war großartig zu wissen! Und irgendwie erleichternd, dass es das, was ich bin gibt und geben darf.
Trotzdem waren die nächsten Wochen und Monate gezeichnet von Selbstzweifeln, denn das Wissen. „Ich stehe auf schwule Männer und empfinde schwul“ hat die Konsequenz, dass ich erkennen musste, dass es verdammt schwer werden würde, eine Beziehung aufbauen zu können. Depressive Nachmittage wechselten sich mit überzeugten „Ja, ich bin schwul“ – Bekenntnissen ab und ich fühlte mich ständig hin- und hergeworfen. Es hat lange gedauert, bis ich es für mich selbst akzeptieren konnte, denn zwischen erkennen und akzeptieren gibt es große Unterschiede!
Ein Blick zurück:
Ich habe mich lange nicht als DAS typische Mädchen gefühlt; schon im Kindergarten fand ich es viel cooler mit den Jungs zusammen mit Autos, Bausteinen etc zu spielen und draußen mit ihnen zu toben. Logischerweise hatte ich einen besten Freund im Kindergarten, aber keine beste Freundin. Die Mädchen fand ich weitestgehend doof und irgendwie lockte es mich nicht sehr mit ihnen etwas zu unternehmen. Trotzdem habe ich auch meine Puppe geliebt und mich – ganz die brave Mutter – liebevoll um sie gekümmert. Aber bis in die Grundschulzeit hinein wollte ich immer lieber ein Junge sein.
Mit Eintritt in die Pubertät konnte ich es vor mir selbst nun nicht mehr verleugnen und fand mich irgendwie hinein in dieses „Mädchen-/Frausein“. Ich interessierte mich für Jungs, kam nun auch bedeutend besser mit meinen Mitschülerinnen zurecht und fühlte mich dann auch endlich richtig wohl in meinem Körper; kein Gedanke mehr daran ein Junge sein zu wollen.
In der Frage nach meiner sexuellen Orientierung habe ich ein wenig gebraucht, um die (vorläufige) Antwort für mich herauszubekommen. Mir war dann mit ungefähr 14/15 Jahren klar: Okay, du stehst auf Männer… hmm, aber Frauen sind nicht völlig uninteressant. Da die Präferenz jedoch eindeutig beim männlichen Geschlecht lag und liegt, habe ich für mich folgendes Konstrukt gebaut: Zu 90% stehe ich auf Männer, zu 10% auf Frauen. Ich bin damit auch immer völlig offen gegenüber meinen Freunden umgegangen, wenn auch zunächst im Spaß, da ich nicht wusste, wie tolerant diese wiederum demgegenüber sind. Meine Mitschüler fanden das offensichtlich ganz lustig und es hat keiner negativ reagiert; meine beste Freundin wusste, dass meine Bisexualität mein voller Ernst war, ob die anderen das letztendlich auch so sahen, weiß ich nicht. Aber ich hatte und habe immer das gute Gefühl meinen Gegenüber (mit Ausnahme meiner Familie, da weiß das keiner) ehrlich zu sein und mich nicht verstecken zu müssen – ob meine Mitschüler das nun geglaubt haben oder nicht. Mir war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht völlig klar, dass ich auf eine „spezielle“ Art Männer stehe.
Dann kam die Zeit (besser gesagt, die WICHTIGSTE und prägendste Zeit auf dem Weg der Entdeckung „Ich bin eine Girlfag“), dass Ili und eine weitere Freundin in mein Leben traten. Ich fand schnell heraus, dass wir alle etwas gemeinsam hatten: schwule Männer, egal ob in Büchern, in Filmen, auf Fotos, in Mangas… Mit wöchentlichen Gay-TV-Tipps und entsprechenden Bildern wuchs ich dann sozusagen auf und rutschte immer mehr und mehr hinein in mein M/M-Leben – und ich genoss es! Es war das, was ich wollte. Schwule Männer! Das reizte mich – vielleicht, weil es eine Spur von Verbotenheit hatte, und wie Ili schaute ich diese Filme zunächst heimlich und die Bilder von Küssen etc. habe ich mir unendliche Male in der Wiederholung angesehen. Es faszinierte mich!
Und ich fühlte mich wohl und akzeptiert in unserer kleinen Gruppe, was letztendlich darin resultierte, dass ich immer selbstbewusster mit meiner sexuellen Orientierung, aber auch mit meinem „Schwulen-Tick“ umging und dann auch ne ganze Menge Bescheid wussten, dass Anne gern Schwulen-Filme sieht. Ich weiß nicht, ob ich dieses Selbstbewusstsein ohne die Unterstützung meiner Freunde entwickelt hätte.
Zur gleichen Zeit verliebte ich mich – und: Er war meine erste schwule Liebe. Es hat lange (Jahre) gedauert, bis ich mich innerlich wirklich von ihm trennen konnte und die Tatsache „Es geht nicht“ akzeptieren konnte. Eigentlich begann hier – im Nachhinein gesehen – schon der Anfang, dieses „Es könnte ja vielleicht sein, dass du auf schwule Männer stehst“, denn in der Folge fand ich den Gedanken an einen schwulen Mann interessanter als den an einen Hetero-Mann.
Mit Beginn meiner Studienzeit, der mit dem Aufbau eines komplett neuen Freundeskreises einherging, fand ich einen netten Kerl – er war schwul, wie könnte es anders sein, aber das fand ich erst nach etwa einem halben Jahr heraus. Ich mochte ihn als Freund; ich konnte mich wunderbar mit ihm unterhalten; wir haben sehr ähnlich Interessen; wir verstehen uns blind. Aber als ich erfuhr, dass er schwul ist, da war da noch etwas mehr. Er interessierte mich einfach mehr, sein Schwulsein zog mich magisch an. Er ist jetzt mein bester Freund, aber trotzdem bleibt immer das Gefühl, dass man eigentlich ganz gern etwas möchte, was letztendlich nicht möglich ist. Und seitdem er vergeben ist, steigert sich das ganze zum Teil noch, denn die Vorstellung zweier Schwuler findet ich nun mal erregend…
Ich fühle mich aber definitiv nicht als Faghag. Ich bin gerne umgeben von Schwulen und mein Freundeskreis besteht auch mindestens zur Hälfte aus Homo- bzw. Bisexuellen, aber mir geht es nicht darum die nette Schwulenmutti von nebenan zu sein. Ich möchte eine Beziehung haben. Mit schwulen oder bisexuellen Männern. Das ist mir dieses Jahr nun endlich vollkommen klar geworden. Trotzdem ist der Begriff der Girlfag noch viel zu wenig bekannt, das habe ich in meinem Freundeskreis erkannt und versucht ihn zum Teil zumindest im Sprachgebrauch zu etablieren – zunächst aber erst in absolut toleranten Kreisen, denn ich habe auch die Erfahrung machen müssen, dass ein leider in vielen Köpfen noch existierendes „Anderssein“ (Für mich ist es ein „Normalsein“ und keine Besonderheit bzw. will ich keine Besonderheit hinsichtlich meiner sexuellen Orientierung sein) bezüglich meines Interesses für Schwule auch unter der angeblich ach-so-toleranten Studentenschaft ein Grund ist, mit verächtlichen Blicken angesehen zu werden bzw. spottende Kommentare zu hören, die mich wirklich verletzt haben.
Tja, und seit meiner ersten großen (schwulen) Liebe in der Oberstufe? Seitdem gab es einige heterosexuelle Flirts, eine zweijährige heterosexuelle Beziehung, aber das, was ich ganz tief in mir als Sehnsucht nach einem schwulen oder bisexuellen Mann suche, habe ich bisher noch nicht gefunden.