Flauschige Federboas, bunte Perücken, flippige Fummel, winkende Hände, die die Regenbogenfahne schwenken, lächelnde Gesichter. Bonbons und Kondome werden ins Publikum geworfen. Konfetti und Girlanden, Glitter und Glamour, wohin das Auge reicht. Es ist voll, schrill und unheimlich laut. Es ist wieder mal CSD und wir stehen mittendrin. Der Mann, mit dem ich hier bin, ist erstaunt, dass seine Freundin plötzlich so aufgedreht ist und mitfiebert.
„Was ist nur los mit ihr?“ Er hat keine Erklärung dafür, versteht es nicht, weiß es nicht. Wie sollte er auch? Sie weiß es ja selbst nicht einmal.
„Was wollen wir hier eigentlich? Schließlich gehören wir doch gar nicht dazu“, meint er. Wie lange wir hier eigentlich noch eingeklemmt stehen und uns das angucken müssten, schreit er mir jetzt entnervt ins Ohr. Dann schaut er mich fragend an und mimt ein „Gehen wir doch endlich!“
Das kommt für mich nicht in Frage – nein, ich will nicht gehen, auf gar keinen Fall! Ich bleibe wie angewurzelt stehen und verfolge gebannt die Parade. Ich spüre, wie er mich auffordernd anstarrt… und reagiere nicht.
Er findet die Person, die da neben ihm steht und deren Hand er nun fasst, des Öfteren ziemlich seltsam – anders als die Frauen, mit denen er vorher zusammen war, anders als alle Frauen, die er überhaupt kennt. Eine „Exotin“ eben – ein Wort, mit dem ich immer wieder bezeichnet werde. Warum versuche ich immer, wenn wir zusammen shoppen gehen, Klamotten einzureden, mit denen er unter aller Garantie wie ein Schwuler aussehen würde? Das, was er am meisten fürchtet, nämlich nicht männlich genug zu sein, wünsche ich mir am sehnlichsten, hervorzuholen. Ob ich schon mal etwas mit einer Frau gehabt habe, hat er mich auch schon wiederholt gefragt und mich jedes Mal, wenn ich dies verneinte, ungläubig angeblickt. Warum also dann die Affinität für die Homo-Kultur, das Eintreten für sie, das Interesse an ihr?
Den Mann an meiner Seite gibt es übrigens nicht mehr. Die Beziehung ist kaputt gegangen, wie bereits einige andere vor ihr. Ob das an meiner Andersartigkeit liegt, weiß ich nicht. Diese Frage stelle ich mir auch nicht – nicht mehr jedenfalls, denn ich habe aufgehört, die Schuld immer bei mir zu suchen. Ich bin so, wie ich bin und genau so – und nicht anders – möchte ich sein und auch bleiben.
Ich bin vieles, aber vor allem bin ich schwul. Das war ich schon immer, nur kann ich es erst seit kurzem – dank Ili (GF/GD-Aktivistin und Betreiberin der ersten deutschsprachigen Girlfags-Website) – beim Namen nennen. Bisher habe ich immer augenzwinkernd behauptet, dass ich ein Gay bin, der im Körper einer Frau gefangen ist bzw. mich selbstironisch als „tuntige Tussi“ bezeichnet. Mit meiner Körperinszenierung versuche ich, Weiblichkeit als Artefakt auszustellen, mich in einem durchaus theatralischen Sinne als Frau zu inszenieren. Schminken ist für mich wie ein Ritual, die weibliche Maskerade Konzept, Natürlichkeit nicht erstrebenswert. Stattdessen versuche ich, Mythen von Weiblichkeit auszubeuten. In einer Gay-Bar auf den ersten Blick für eine Drag Queen gehalten zu werden, ist das größte Kompliment, das man mir machen kann. In mir und meiner Person prallen Extremwelten aufeinander; ich habe viele weibliche, aber auch viele männliche Elemente in mir. An Frauen habe ich mich nie orientiert, mit wenigen komme ich gut aus. Oft langweilen sie mich mit ihren Gesprächsthemen oder ihre Art geht mir auf die Nerven.
Hingegen übt alles, was mit homo und trans zu tun hat, auf mich eine magische Anziehungskraft aus. Sei es die Schwulen-Bar an der Ecke oder ein wissenschaftliches Thema an der Uni – alle Wege und seien sie auch noch so steinig und beschwerlich, führen mich, auch über Umwege, zu diesem Zentrum meines Lebens. Das schlummert immer in mir. Mal ist es stärker, mal schwächer, aber tot ist es nie. Unterdrücken will und kann ich es nicht, denn nur wenn ich mein Schwulsein lebe, bin ich glücklich. Es gehört zu mir, ist ein Teil von mir geworden. Ein Teil, den ich nicht missen möchte und zu dem ich voll und ganz stehe. Der innere Kreis meiner Familie weiß davon und meine schwulen Freunde waren bei mir zu Hause ohnehin immer willkommen. Alles, was ich tue, mache ich offen und bewusst. Nichts ist mir mehr verhasst, als wenn sich jemand feige versteckt, lügt und betrügt, eine Scheinwelt errichtet, nur um sich der Mittelmäßigkeit seiner Umwelt anzupassen.
Dass der Männergeschmack anderer Frauen von meinem abweicht, ist mir bewusst. Ja, es gibt durchaus Frauen, die nicht auf Mega-Machos stehen. Welche, die das verschmitzte Lächeln eines George Clooney absolut kalt lässt, der Augenaufschlag und Hüftschwung einer schönen Drag Queen aber den Verstand raubt. In der Tat: Je femininer ein Mann ist und je tuntiger sein Gehabe, desto sympathischer ist er mir. Ich mag gezupfte Augenbrauen und einen Körper, der so glatt ist wie ein Babypopo, mitunter aber auch Wimperntusche, Lippenstift und Seidenstrümpfe an einem Mann. Was mich primär interessiert, ist der kreative Prozess daran, die Lust an der Maskerade, die Verwandlung in eine andere Person.
Wenn ich könnte, es technisch machbar wäre, würde ich am liebsten jeden Tag eine andere sein. In der letzten Zeit habe ich mich wieder einmal sehr intensiv – und zwar wissenschaftlich – mit dem Thema Transgender auseinandergesetzt. Meine realen Begegnungen sind zwar äußerst spärlich, aber im Großen und Ganzen recht positiv. Nun möchte ich mich bewusst mit der Gruppe konfrontieren, um auszuloten, wie ich mich in ihrer Gegenwart fühle. Vielleicht stelle ich mir das alles zu romantisch vor, aber ich hätte gerne ein paar neue „Freundinnen“. Dann würde ich mit ihnen shoppen und in ganz normale Cafés gehen, den Leuten zeigen, dass man sich nicht verstecken muss, nur weil man auf die eine oder andere Art eben anders ist und dies durch seine Körperinszenierung zum Ausdruck bringt. Auch der Gedanke, einen Freund und eine Freundin in ein- und derselben Person zu finden, erfreut mich. Endlich ein Mann, mit dem man sich über Klamotten und Kosmetik unterhalten kann. Einer, der ebenfalls einen Teil des Tages im Badezimmer verbringtn und für meine Schmink-Exzesse Verständnis hat. Einer, der Sinn für Schönheit und Ästhetik hat! Was könnte sich eine Frau wie ich mehr wünschen?
Wohin die Tendenz gehen wird, ist zwar derzeit nicht absehbar, aber ich spüre, wie mein Männergeschmack kontinuierlich femininer wird. Es bleibt jedoch augenscheinlich bei XY, könnte aber auch ohne weiteres bis zu trans Männern gehen. Das kommt immer auf den Menschen – nicht auf das Geschlecht an, denn nicht ob Mann oder Frau, sondern allein der Mensch ist es, der zählt… und es braucht nur einen einzigen – aber eben den richtigen – um glücklich zu sein.