Submissiv, feminin und Girlfag?
Seit ich in der GF/GD-Community aktiv bin, werde ich häufig nach der Definition von Girlfag gefragt. Viele verstehen die Identität nur, wenn behauptet wird, dass Girlfags maskulin und dominant seien. Doch die Realität ist komplizierter als das!
Ein Plädoyer gegen verkürzte Erklärungsmuster
Seit ich in der GF/GD-Community aktiv bin, bin ich häufig in Situationen gewesen, in denen ich erklären musste, was ein*e Girlfag ist. Je nachdem wie aufgeschlossen mein Gegenüber war, war dies ein mehr oder weniger schwieriges Unterfangen. War mein Gesprächspartner dem Thema gegenüber weniger wohlwollend eingestellt, dann war die Antwort häufig: “Aber das unterscheidet dich doch nicht von anderen Frauen. Was GENAU macht dich denn zur Girlfag?”
Inzwischen weiß ich, welche Argumente helfen können, damit Menschen das Konzept verstehen. Zum Beispiel können viele das Phänomen besser begreifen und akzeptieren, wenn man ihnen sagt, dass Girlfags und Guydykes auf dem Non-Binary-Spektrum sind, dass Girlfags eher maskulin auftreten, im Bett gern den dominanten, “maskulinen” Part übernehmen und an Sexualpraktiken wie Pegging/BOB interessiert sind. Dann können sie nachvollziehen, was am Begehren einer Girlfag männlich und demnach schwul ist.
Doch mein Fokus auf diese Erklärungsmuster hat dazu geführt, dass ich meine eigene authentische Geschichte aus den Augen verloren habe: Denn ich trete weder maskulin auf, noch bin ich dominant im Bett. Und trotzdem bin ich Girlfag. Aber was genau macht mich dann zur Girlfag?
Submission und Feminitätsfeindlichkeit
Ich habe eine schwierige Beziehung zu sexueller Dominanz. Ich war sexuell gesehen immer eher passiv, submissiv und masochistisch. Das ist einfach, wer ich bin – das ist ein Teil von mir. Und das ist etwas, das ich immer wieder verteidigen musste. Mein erster Freund hatte die Fantasie einer selbstbewussten Frau, die ihn im Bett dominiert. Er hatte dieses Bild auf mich projiziert und mich dazu gedrängt etwas zu sein, was ich nie sein werde.
Aber auch in feministischen Kreisen wurde ich oft mit meiner Neigung abgewertet. Denn selbstbestimmte weibliche Sexualität muss dominant, aktiv und maskulin-konnotiert sein. Submissivität wird häufig wie ein “Patriarchatsschaden” behandelt: Wäre ich wirklich emanzipiert, würde ich mich bestimmt nicht – vor allem nicht von Männern, spanken lassen.
Sexuelle Dominanz war nie befreiend für mich. Sie ist ein Symbol der Emanzipation, das mir manche Feminist*innen immer wieder gewaltvoll überstülpen wollen. Dahinter steckt nichts anderes als eine andere Form des Sexismus: Feminitätsfeindlichkeit, die Abwertung feminin-konnotierter Dinge, Verhaltensweisen, Eigenschaften, Sexualpraktiken etc.
Eine ähnliche Falle ist mir im Girlfags-Diskurs begegnet: Die Abwertung von Feminität und verkürzte, leicht verdauliche Narrative wie “Girlfag = maskuline Frau” oder “Girlfag = Pegging”. Natürlich gibt es maskuline Girlfags – aber so einfach ist das nicht! Um etwas kompliziertes wie Girlfag-Identität einzuordnen, greifen Menschen ganz tief in die Kiste der Geschlechterklischees und atmen auf, wenn dabei herauskommt: “Sie ist der Mann im Bett. Das macht sie schwul, logisch!”
Ich bin der submissive Mann im Bett
Wie fantasielos muss man eigentlich sein, wenn man Submissivität nur mit Weiblichkeit assoziiert? Meine Neigung ist nicht so eindeutig gegendert. Ich habe mich oft mit männlicher Submission identifiziert: Ich hatte Fantasien, in denen ich z. B. einen Penis oder einen Bart hatte, von einem männlichen Partner als Mann angesprochen wurde, shapeshiften konnte und als Mann in einen schwulen Sexclub gegangen bin – aber ich war in diesen Fantasien trotzdem der unterwürfige Part. Wenn es masochistische, schwule Männer gibt, warum ist es so schwer vorstellbar, dass es auch submissive und/oder masochistische Girlfags gibt?
Girlfag-Tunte
Das gleiche gilt für maskulines oder feminines Auftreten. Ich bin auf dem Non-Binary-Spektrum. Ich bin bigender, das heißt in meinem Fall, dass ich meine Weiblichkeit und Feminität nicht ablehne, sondern AUCH einen männlichen Teil in mir trage. Ich bin beides – nicht “weder noch”. Ich liebe Feminität, ich liebe extravagante Outfits, Kleider, Make-up, lange Fingernägel – gelegentlich gebrochen durch maskuline Elemente: Elegantes Kleid und klobige Schuhe, gebundene Brust und Rock. Tatsächlich fühle ich mich wie eine Tunte und kann mich sehr gut mit Aglaia identifizieren – einer femininen Girlfag, für die es das größte Kompliment ist, wenn sie für eine Drag Queen gehalten wird.
Aber was GENAU macht dich dann zur Girlfag?
Diese Frage hallt in mir nach. Was genau ist es dann, wenn ich nicht den offensichtlichen, leicht verdaulichen Kriterien entspreche? Wenn ich feminin auftrete und submissiv im Bett bin, wo ist dann das Problem? Dann sollte ich doch keine Schwierigkeiten haben Männer zu finden?
So einfach ist es aber nicht. Es geht mir nicht darum Männer zu finden. Ich bin seit sieben Jahren mit einer Frau zusammen, in einer polyamorösen Beziehung und habe genügend Gelegenheitsaffären mit Männern. Aber das, wonach ich mich als Girlfag sehne, konnte mir bislang keiner dieser Männer geben.
Denn was mich zur Girlfag macht ist mein Empfinden – mein intrinsischer, schwer greifbarer Druck, dass ein männlicher, queerer Partner den männlichen Teil in mir validiert. Der Wunsch den männlichen, schwulen Teil in mir, so submissiv und tuntig wie er ist, ausleben zu können.
Slash Fiction und Creative Transvestism
Uli Meyer hat in mehreren Artikeln das Phänomen “Creative Transvestism” beschrieben. Das ist wie Crossdressing oder Drag – nur über ein kreatives Medium wie das Schreiben oder Zeichnen: Man zeichnet sich z. B. selbst als Person eines anderen Geschlechts.
Ich habe vor einiger Zeit zum ersten mal selbst eine Slash Fiction geschrieben. Ich habe ein Crossover gemacht aus “Avatar: The Last Airbender” und “Game of Thrones”. Die Charaktere Zuko und Jon Snow haben eine leidenschaftliche Nacht miteinander verbracht. Meinem Schreibprozess wohnte etwas sehr Kraftvolles inne: Ich fühlte mich beim Schreiben so befreit, weil ich in die Perspektiven der Männer schlüpfen konnte, die zärtlich zueinander sind. Ich hatte die Kontrolle über das Narrativ: Ich konnte durch die Augen von Jon sehen und von Zuko als Mann begehrt werden. Ich konnte mich als Zuko fallenlassen und mich von Jon dominieren lassen. Ich konnte als Jon in den Armen eines anderen Mannes liegen. Und am Ende habe ich etwas schönes und produktives geschaffen, was mir zusätzliche Befriedigung gab.
Zuvor habe ich nur gelegentlich Slash Fiction gelesen, doch diese Erfahrung selbst so etwas zu schreiben, hat mir vor Augen geführt, dass in mir ganz eindeutig etwas ist, das ausgelebt werden möchte… und durch Creative Transvestism habe ich einen Weg gefunden dies zu tun. Durch das Schreiben dieser Slash Fiction habe ich verstanden, dass ich ein Begehren in mir trage, das ich am besten mit dem Wort “Girlfag” beschreiben kann. Und verkürzte Erklärungsmuster werden diesem Begehren einfach nicht gerecht.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf der Info-Homepage über Girlfags & Guydykes veröffentlicht.
Hi und danke für den Beitrag!
Ich beschäftige mich seit einiger Zeit damit, auch solche Gedanken und Bedürfnisse zu haben (in Phantasien immer ein Mann usw – ohne dabei trans (aber nicht-binäre) zu sein.
Deshalb hilft mir der Beitrag total, weil er mir einen neuen Horizont eröffnet hat.
Danke!
Lilli